Es begann zwar wie der Tag zuvor, aber ohne es zu wissen wird es zumindest Bergsteigerisch mein schlimmster Tag. Wecker vor drei, aufstehen, Toilette, Frühstück. Diesmal mit Jacke los.
Wir reihten uns in die Karawane ein, die zur Fuorcola Prievlusa führte. Wir kamen trotz der paar Touren vorher in den Beinen, gut voran. Wir folgten Raphael (Imsand, Bergführer aus Goms, bergsucht.ch) und seinem Kunden und lagen wie die zur gleichen Zeit die Steigeisen an. Hinter uns kamen noch die beiden geschwätzigen Italiener die uns fast die halbe Nacht wach gehalten haben mit ihrem ununterbrochenen Gequatsche. Nachdem der Weg über den Gletscher geschafft war gings in den versicherten Steig über den wir auch gut nach oben kamen. Die Eisenklammern war gut gesetzt. Auf der Fuorcola Prievlusa angekommen zeigte die Uhr 2:45h unterwegs an. Sehr gut. Wir gönnten uns nur eine kurze Pause und stiegen hinter Raphael, seinem Kunden und einer anderen 2er Seilschaft (Marco, Darah) in den ersten Gendarmen ein. Die Kletterei ging auch hier gut von der Hand und wir kamen trotz Seil gut voran. Einzig der Abstieg aufs Eisfeld runter vor der Haifischflosse war etwas schwieriger aber machbar. Auf dem Eisfeld sahen wir gerade noch wie Raphael mit seinem Kunden eine 3er Seilschaft (zwei Jungs, ein Mädel, alle Mitte 20) überholte. Diese folgte ihnen zügig. Vor uns waren nur noch Marco und Darah. Wir nutzten das Flachstück um unsere Steigeisen anzuziehen und ließen uns etwas Zeit, da man hinter der Haifischflosse wieder hoch musste und sich ein leichter Stau bildete. Wir gingen langsam los und schlossen auf Marco und Darah auf. Diese waren dann mal oben und Floh stieg danach in das Steileis ein. Raphael war schon fast über den ersten Aufschwung. Die 3er Seilschaft war schon auf dem Grat als dann das Unglück passierte. Floh setzt gerade die zweite Eisschraube. Marco und Darah sind oben am sortieren die 3er Seilschaft ist los gegangen. Dann plötzlich hört man nur ein „Scheiße“ und aus Rekonstruktionen heraus ist folgendes passiert:
Die Mittlere ist gefallen und hat den Ersten mitgezogen, dieser ist über den Grat nach Osten gefallen, also in den über 45° steilen Hang Richtung Morteratsch Gletscher. Er rutscht runter, zieht die Zweite mit, diese rammt zwar den Pickel rein, wird nur langsamer, aber kann die beiden nicht aufhalten. In der Zwischenzeit ist der Dritte zwar in die andere Gratrichtung gesprungen, aber die beiden anderen haben soviel Moment, dass es ihn einfach hoch zieht und über die Kante wirft. Die beiden wären schon fast stehen geblieben, dann kam aber der Dritte mit so viel Schwung daher, dass er sie im typischen Gummiband Effekt einfach mitzieht und alle drei weiter rutschen. Da stand ich keine fünfzehn Meter daneben und sehe wie die versuchen sich mit den Pickeln fest zu halten, teilweise aber auch einfach nur drehen, weil sie sich nicht stabilisiert bekommen. Sie bekommen immer mehr Speed, prallen unten gegen die ersten Ausläufer der Felsen und verschwinden dann hinter die Kante. An der Stelle geht es über 200Meter runter. Dann wars ruhig.
Wir alle standen natürlich unter Schock. Floh ist weiter hoch, ich bin dann nach damit wir nicht mehr im Steilhang stehen sondern im flachen Gelände. Oben haben wir dann mit Marco und Darah gleich die Rettung angerufen. Die haben dann den Hubschrauber geschickt. Wir standen dann noch da und haben überlegt was wir machen. Runterfliegen lassen…weiter machen. Frag mich nicht warum….das ist heute für mich auch nicht ganz klar. Ist wohl ein Schutz-Mechanismus. Ich hab das einfach weg geschoben. Wir alle haben dann gesagt wir machen weiter. Wir haben uns zusammen getan uns sind dann mit über sechs Eisschrauben los gegangen und habe im Prinzip den kompletten ersten Teil vom Grat im Eis eine Schraube nach der anderen gesetzt. Hat ewig gedauert. Als dann der zweite Teil los ging wurde es wieder brutal weich vom Schnee. Wir haben den 4er aufgelöst und Floh und ich sind am kurzen Seil weiter. Die anderen beiden sind uns noch nach, haben aber irgendwann mal doch den Rettungshubschrauber gerufen. Dieser hat die abgeholt und uns gefragt ob wir mit wollen. Wir haben verneint. Mit der Anspannung meines Lebens sind wir dann oben raus gekommen und erst mal zusammen gebrochen. Als es wieder ging sind wir in den Felsteil, der gut ging, bis zum Piz Bernina hoch. Die Italiener haben bis uns aufgeschlossen und zumindest jetzt konnte ich etwas erheiterndes an ihrem Gequatsche finden. Der Grat selber war zwar nicht so schwierig, aber es dauerte ewig, da wir einfach nicht den Kopf hatten. An einer Abseilstelle überholten uns dann Marcel, Thomas (Senf) und Natascha. Zwei Bergführer und eine Kundin. Es war fast surreal zu sehen wie die beiden sich ohne Sicherung in dem Gelände bewegten als gingen sie gerade im Englischen Garten. Und Zack waren sie schon an uns vorbei.Wir kämpften uns noch bis zum Gipfel hoch und zogen einmal unnötig die Steigeisen zwischenzeitlich an. Am Gipfel dann kurzzeitig nur wenig Erleichterung als wir den Spallagrat noch vor uns sahen. Zum Glück fragte Thomas dann ob er uns seine Hilfe anbieten kann um uns runter zu bringen. Wir sagten sofort zu. So gings dann einigermaßen Safe über den Spallagrat bis zur Marco e Rosa Hütte. Stellen die wir gesichert abkletterten spazierte Thomas einfach runter. Am Ende vom Grat sagten wir zu Hause noch Bescheid, dass alles gut sei und gingen dann zur Marco e Rosa Hütte. Dort hieß es dann erst mal ein Bier trinken, Essen und runter kommen. Wir quatschten den ganzen Abend mit zig Bergführern und versuchten zu rekonstruieren was schief gelaufen war und wie man es hätte vermeiden können. Antworten findet man jetzt keine, zumindest haben wir ein besseres Bild heute und können auf uns selber in Zukunft schauen. Den restlichen Abend tranken wir noch eins nach dem anderen und gingen irgendwann total erschöpft und fertig ins Bett um in einen unruhigen Schlaf zu fallen.